Freitag, 10. Dezember 2010

Italien: eine moderne Bananenrepublik mitten in Europa

Nach ihrem hier empfohlenen Blogeintrag zu dem neuen Buch "Convergenza" von Nando dalla Chiesa bringt Kirstin Hausen nun auch einen Beitrag im Deutschlandfunk zum Thema. Wieder wird ganz klar die Verbindung der "Forza Italia" (die Berlusconi-Partei Anfang der 90er Jahre) mit der Cosa Nostra ausgemacht.

Wenn man sich mit Italien beschäftigt, stößt man immer wieder auf  Win-Win-Situationen. Dass es die Italiener nun selbst hinbekommen, diese klar auszusprechen und Aufklärung gegen die Machthaber im Land zu organisieren, ist jedoch eine erfreuliche Überaschung. Die Gerichte liefern hier jüngst brauchbare Nebenerkenntnisse und Abfallprodukte (z.B. im Dell' Utri-Prozess) für das Verständnis der verrückten Geschichte Italiens in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Eine Bananenrepublik hat zumindest einen Diktator; Italien hatte nur unzählige diffuse Profiteure von Terror, Anschlägen, Entführungen, Drogenhandel, Erpressungen, Korruption und Klientelgesetzgebungen die im sog. "Trasformismo" im Parlament als Kuhandel stattfinden. Das heutige Italien steht den römischen Pseudorepubliken der Antike mit ihren Intrigen, Günstlingen und Machthabern in nichts nach - nur dass es nicht aufhört zu glauben, es sei ein moderner Rechtsstaat mit Gewaltenteilung und gleichen Rechten und Pflichten für alle Bürger. Trotz der einstigen Industrialisierung ist eine "feudale Ideologie" noch sehr stark verankert im heutigen Italien: Die aktuellen lokalen Fürsten beharren einfach teils eloquent, teils sehr brutal auf ihren wirtschaftlichen Privilegien und bekämpfen so - manchmal beiläufig, manchmal aktiv - die Macht des modernen Rechtsstaates.

Die Justiz und manche Teile der Polizei geben Europa in letzter Zeit Hoffnung, dass der italienische Staat noch existiert. Einige italienische Kommentatoren glaubten nach der Aufdeckung einer neuen Geheimloge, die sie "P3" (nach der gut dokumentierten P2-Loge benannt) tauften, auch die Zweite italiensche Republik sei bereits am Ende. Doch über den geheimen Führer Italiens mit dem Decknamen "Cesare" (also Cäsar) spricht niemand mehr. Einige Köpfe in den Ministerien mussten rollen. Die Mafia wird als Problem in den Vordergrund gestellt. In dieser Situation kommt nun das Buch dalla Chiesas auf den Markt.

Neu an seinem Buch, das die Konvergenz zwischen politischer, gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und krimineller Elite beschreibt, sind zwei Verschiebungen:

- Auch die politischen Akteure der Mitte und im linken Spektrum werden in ihrem konsequenzenreichen Handeln 'pro Mafia' nicht geschont. Dalla Chiesa sieht hier vor allem Unfähigkeit am Werk.

- Dalla Chiesa deutet den Mafia-Terror Anfang der 90er Jahre nicht als Auftragsarbeit, sondern als 'Kommunikation' der Mafia mit den neuen Akteuren der neu entstandenen "Zweiten Republik". Die Anschläge seien ein Zeichen gewesen, dass man in Zukunft in Italien keine politische Rechnung ohne die Mafia machen könne. Diese Einschätzung wird von den Aussagen einiger Kronzeugen gestützt, die Partei Forza Italia sei eine Initiative der Cosa Nostra gewesen.

Der Beitrag von Hausen ist lesenswert. Der Vollständigkeit halber: Es gibt natürlich mehr als drei Mafiaorganisationen. Neben den erwähnten Camorra, 'Ndrangheta und Cosa Nostra noch die Stidda in Südsizilien und die Sacra Corona Unita in Apulien.

Das Buch dalla Chiesas ist noch nicht auf deutsch erschienen. Einen Überblick über gute Bücher zur Mafia finden sie auf dieser Seite.

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