Montag, 23. August 2010

Der Innenminister Niedersachsens wurde auf die Arte-Dokumentation angesprochen

Die Antwort von Herrn Schünemann: Alles gut. Niedersachsen ist sauber. Die Polizei- und Justizreformen haben Niedersachsen sicherer gemacht. Hier das Transkript aus dem Landtag, falls es jemanden im Detail interessiert.

und hier mein Kommentar zur Stellungnahme Schünemanns, fall es jemanden interessiert:

Die vorangestellten definitorischen Bemerkungen von Hernn Schünemann sind in 2 Punkten fehlerhaft, so dass man nur hoffen kann, dass seine Beamten und Angestellten ein reiferes Bild der “Mafia” haben:
Die Bemerkung, dass der Begriff der ‘Mafia’ inzwischen für viele Phänomene der organisierten Kriminalität genutzt wird, stimmt, wird jedoch in der folgenden Konkretisierung Schünemanns leider irreführend präzisiert.
1. Besonders die ‘Ndrangheta ist erst seit kurzem “streng hierarchisch gegliedert”, darin mit der kürzlichen Festnahme Domenico Oppedisanos grandios gescheitert und wird wahrscheinlich zu seiner dezentralen Organisation zurückkehren. Dies bedeutet auch, dass die organisationelle Kommunikation wieder lokaler wird. Das Top-Down-Modell in der kalabrischen Mafia ist momentan Geschichte und wird auch die hierauf fokussierten Ermittlungen erschweren.

Die Zusammenführung von Ermittlungsstellen in Niedersachsen schafft gerade auf lokaler Ebene Räume, in denen nur sehr langsam und uneffektiv auf kriminelle Aktivitäten reagiert werden kann. Da Firmen und Strohmänner durch die Mafia schnell gewechselt werden, müssen auch die Reaktionszeiten der Justiz und der Polizei an solche Rhythmen angepasst werden. Fazit: die organisationelle und personelle Kontinuität der Mafia ist in dem Europa der 4 Grundfreiheiten nicht gegeben und auch nicht durch die Hoffnung auf eine zentralistische Organisation und den damit verbundenen Kommunikationsströme erledigt. Das Beispiel von Singen belegt gerade die Strategie der Mafia von dörflicher Ebene aus zu agieren.

2. Herr Schünemann hat sich die auf Arte ausgestrahlten Diskussionsbeiträge von Roberto Scarpinato anscheinend nicht genau angesehen. Er hätte sonst bemerkt, dass der italienische Staatsanwalt auch den Stil der europäischen und deutschen Diskussion zur Mafia kritisiert: Gerade die Verortung der Mafia in Süd-Italien ist Gift für das Verständnis selbiger. Eine quasi “volkloristische Beschreibung” einer auf familiärer und dörflicher Ebene agierenden Mafia ist von dieser und ihren Komplizen hochgradig erwünscht. Genau dieses tut Herr Schünemann in seiner Definition.

Die Mafia ist Investor und “lebt [nicht nur] von finanziellen Werten, die sie mit kriminellen Methoden aus dem Wirtschaftskreislauf schöpft”, wie Herr Schünemann meint. Es geht somit nicht unbedingt um Gewinn, sondern auch um Kapitalströme, die Orte suchen, an denen sie sicher in Immobilien und Beteiligungen gelagert werden können - auch ohne, dass sie Gewinn abwerfen. Eine organisierte Kriminalität, bei der nur der Ursprung der Mittel noch kriminell ist. Das Problem wurde von Herrn Schünemann also nicht erfasst: Gerade das stabile Niedersachsen bietet hier genügend Möglichkeiten. Von der Tatsache, dass auch das dortige Kokain wahrscheinlich von dem global player ‘Ndrangheta organisiert wurde, mal ganz abgesehen.

Scarpinatos Ansicht nach sind es gerade Bedürfnisse des Marktes nach gewissen Dienstleistungen, die die Mafia groß machen, nicht unbedingt die kriminelle Energie Einzelner. Er nennt das “Mafia als makro-ökonomisches Phänomen”. Ermittlungen müssten sich adäquaterweise auf diese Dienstleitungen und nicht auf vergangene konkrete Straftaten beziehen. Zu nennen wäre hier das Kreditwesen in Zeiten der Kreditklemme, Abfallentsorgung und illegale Arbeitskräfte - und natürlich die bekannten Bereiche Drogen, Prostitution und Waffenhandel. Die kriminelle Energie geht somit auch von legalen Marktteilnehmern aus. Die Nachfrage auf dem Markt erschwert zumindest die Suche nach Initiatoren, ist jedoch konstant. Ein Fokus auf Einzeltäter bzw. Familien, die den Markt penetrieren, ist auf jeden Fall naiv, eine Unterschätzung des makro-ökonomischen Markteilnehmers Mafia töricht.

Eine grundsätzliche Kontrolle von Investitionen in Niedersachsen ist mit einer schwarz-gelben Regierung wahrscheinlich nicht zu machen und europarechtlich (siehe Kapital-Freiheit) heikel. Die ‘innere Sicherheit’ ist als Ausnahmsklausel jedoch in jedem europäischen Vertrag enthalten und wäre eine Argumentations-Möglichkeit.

Einige Bereiche krimineller Dienstleistungen mögen in Niedersachsen noch nicht ausgereift sein. Die organisierte Kriminalität der Mafia zu bekämpfen bedeutet aber auch Prävention. 44 Mrd. Euro Umsatz im Jahr bei der ‘Ndrangheta: dieses Geld verschwindet nicht einfach. Ein Beispiel: Mafiageld wurde im letzten Jahrhundert gerne in deutsche Staatsanleihen investiert. Leider lässt sich das heute nur noch schwer beweisen:

Mafia bekämpfen heißt lokale Sicherheitskultur + Kontrolle der Finanzakteure und diesbezügliche europäische Vernetzung. Das Eine kostet den Staat Geld; das Andere bringt ihm Geld ein, wenn er Vermögen konfisziert.

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